Meiner Wahrnehmung nach scheitern die meisten agilen Transformationen nicht, sie verlaufen im Sande. Offiziell scheitern tun sie nur dann, wenn ein neues Management übernimmt und ein Scheitern erklärt. Man beachte die Feinheiten Eine nachhaltige Transformation ist weiterhin unwahrscheinlicher als ein Auslaufen der Bemühungen.
Hier meine Favoriten der Gründe:
• Es gibt oft ein Problem mit Werten (falsche Werte, falsch verstandene Werte und nicht gelebte Werte)
• ungenügende Kommunikation der Vorteile (insbesondere für die Mitarbeiter – “Was habe ich davon?”)
• Statt ganzheitlichem und durchgängigem Denken in Systemen die Beschränkung auf Methoden
• kein Anpassen an den Kontext im Unternehmen (schlimmstenfalls One-fits-all Blödsinn)
• Agilität wird als Projekt verstanden
Hier ein paar Beispiele dazu…
Fangen wir oben an. “Eat your own dog food” ist überwiegend nichts fürs oberste und obere Management.
• Agilität wird nicht vorgelebt. Fehlanzeige, selbst agilen Werten zu folgen und agile Methoden zu verwenden.
• Die Transformation wird an Projektteams oder externe Berater delegiert.
• Die Transformation wird als klassisches Projekt aufgesetzt und genauso abgearbeitet.
Was ich auch oft erlebe, ist die Umkehrung, insbesondere von zwei Werten des agilen Manifestes:
• Statt “Individuals and interactions over processes and tools” werden dann in ersten Linie Prozesse und Methoden wichtiger als alles andere. Schnell tauchen agile Methoden und Frameworks auf, auf die sich dann festgelegt wird und die möglichst flächendeckend ausgerollt und durchgesetzt werden (Scrum, SAFe und Co. lassen grüßen).
• Sobald es einen Plan gibt, ist “Responding to change over following a plan” nicht mehr so wichtig wie den Plan auszuführen. Unversehens finden sich entsprechende Unterstützer, die sich schon lange mit der Umsetzung von Plänen auskennen. Ups, was könnte hier schieflaufen?
Beim Management wird durch Jeff Sutherland’s Scrum The Art of Doing Twice the Work in Half the Time gern die Erwartung geschürt, dass es um höhere Effizienz und mehr nutzbarer Kapazität geht.
Viele Mitarbeiter können darin aber keinen Vorteil für sich erkennen. Es führt eher zu mehr Stress, weil sie das Gefühl haben, dass sie jetzt noch mehr leisten müssen. Oft ist keinem klar, dass es hier um mehr Kundennutzen geht, der überwiegend durch Reduzierung und Vermeidung von Verschwendung (“Waste”) geschaffen wird. Durch Verringerung von Wartezeiten, höhere eingebaute Qualität und schnellere Anpassung an die Kundenbedürfnisse ist der Kundennutzen größer.
Prinzipien wie “Simplicity–the art of maximizing the amount of work not done–is essential.” geraten in Vergessenheit, wenn der ehemalige Kapazitätsoptimierer seine Chance sieht und mehr Arbeit ins System drückt (The resource utilization trap - YouTube). Sehr beliebt in diesem Zusammenhang auch die kontraproduktive Vergrößerung von Teams, damit mit mehr Kapazität mehr geschafft wird. Hat auch schon beim konventionellen Projektmanagement nicht funktioniert, aber wurde da auch immer wieder vergessen.
Schön auch, wenn das Agile neben der Linienorganisation als eigene Organisation aufgebaut wird (SAFe verkauft dies oft als Vorteil, dass das mit dem SAFe Framework möglich ist). Regelmäßig bleibt dadurch die klassische Linie vollständig und dauerhaft erhalten und behindert nicht selten die Agilität. Das Beharrungsvermögen der Linie kann eigentlich nie unterschätzt werden. Eine verbesserte Kommunikation im Gesamtsystem ist so meist unwahrscheinlich, wenn man hier nicht weitermacht. Vielleicht reden sich ja viele ein, dass das Gesetz von Conway nur bei anderen Unternehmen gilt, nicht aber bei der eigenen Organisation – Dream on! “The Empire strikes back” z.B. mit: “Wir haben viel erreicht, für uns reicht der Status quo der Transformation. Wir müssen jetzt konsolidieren”. Höchstwahrscheinlich der Anfang vom Ende einer kontinuierlichen Verbesserung.
Ein Indikator, wie ernsthaft sich die Unternehmung verändert hat, ist oft die Fehlerkultur. Agiles Vorgehen propagiert Experimente, um möglichst früh/schnell zu scheitern, um falsches früh zu erkennen. Fehler werden im Unternehmen dagegen aber weiterhin als negativ angesehen und führen ggf. zu Sanktionen (offen oder versteckt). Also sollte der Mitarbeiter weiterhin besser keine Fehler machen oder mit Fehlern in Verbindung gebracht werden. Sehr “vorteilhaft” für Faktoren wie die psychologische Sicherheit.
Fragt ihr die Mitarbeiter regelmäßig, mit denen ihr Kontakt habt, was ihnen persönlich die Transformation konkret bringt? High-Level VUCA-Gequatsche etc. ist dabei keine valide Antwort. Stelle ich diese Frage erstmals bei einer laufenden Transformation, bei der ich dazukomme, dann bekomme ich mit Mühe noch eine Antwort, was es dem Einzelnen bringen sollte. Die Nachfrage, ob es tatsächlich auch so ist, wird dann praktisch immer verneint. Scrum Team Mitarbeiter erzählen dann gern von mehr Meetings, weil andere Meetings deswegen nicht weggefallen sind und auch, dass die Anforderungen für die Dauer des Sprints fixiert sind, können viele nicht bestätigen. Kognitive Dissonanz bei den Mitarbeitenden sollte dann niemanden überraschen.
Spannend finde ich auch, wenn bei der Diskussion über eine Transformation nach Best Practices gefragt wird. Ein Blick ins Cynefin Framework (Cynefin framework - Wikipedia) zeigt, dass der Einsatz von Best Practices zur Domäne Clear (vormals Simple) gehört. Wer möchte, der kann es gern mit mir diskutieren, aber aus meiner Sicht gehören Unternehmen und deren Mitarbeiter mindestens zu den komplexen Systemen. Wie wahrscheinlich ist es, dass man da mit einfachen Antworten der Best Practices Erfolg haben wird? Ist es einem Berater gelungen, dies einem Unternehmen zu verkaufen, dann singt er bestimmt: Dire Straits - Money For Nothing (Official Music Video) - YouTube
Ich bitte um Entschuldigung, wenn meine Art Humor in diesem Fall nicht allen Werten und jedem Geschmack, sowie einer maximalen Meinungsvielfalt entspricht, aber bitte “assume positive intent”. Danke liebe Kollegen.