Wir können Scrum in Unternehmen einführen. Wir können uns an die Regeln halten, die notwendigen Rollen einführen, die Artefakte nutzen, _user Stories schreiben, schätzen, Velocity messen, Reviews und Retros durchführen, Teams bevollmächtigen und vieles mehr. Auf den ersten Blick betrachtet funktioniert das und Scrum ist leicht zu verstehen. Doch warum flowt es nach angemessener Zeit im Einsatz trotzdem nicht?
Schaut man in den Scrum Guide, stößt man auf einen Absatz über fünf Scrum-Werte, die dem Framework zugrunde liegen. Diese Werte liefern uns einen relevanten Anteil des Antriebs, damit Scrum erfolgreich funktioniert. Ein zweiter relevanter Anteil ist zum Beispiel das sog. Growth Mindset (vgl. Literatur von Carol Dweck).
Grundsätzlich bildet das Framework also lediglich die Hülle und die Frage ist, wie wir – respektive die Menschen, die innerhalb eines Unternehmens involviert sind – mit den fünf Werten umgehen. Diese Werte schauen wir uns gleich noch im Detail an.
Werfen wir zunächst einen Blick auf uns als Individuen innerhalb des Frameworks und des Prozesses. Damit wir mit den fünf Scrum-Werten überhaupt arbeiten können, müssen wir verstehen, was das genau bedeutet und wie wir zu diesen fünf Werten stehen. Warum das wichtig ist? Wir haben bereits individuelle Werte in uns verankert, die unser Denken und Handeln nicht ganz unerheblich ausrichten. Werte steuern unseren innerer Kompass, an den wir uns halten und der den Kurs vorgibt. Dies geschieht sowohl auf der persönlichen Ebene, als auch in jeglicher Form von Gemeinschaft; entsprechend auch in Teams und Unternehmen.
Wie wirken sich unsere Werte in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen konkret aus?
## UNSERE PERSÖNLICHEN WERTE ALS KOMPASS
Machmal ist uns nicht klar, wie wir uns in einer schwierigen Situation verhalten sollen. Was ist gut und richtig?
Werte helfen uns dabei, unseren Weg zu finden. Sie erinnern uns daran, was uns wichtig ist, wonach wir streben und wie wir uns z .B. in einer Gemeinschaft verhalten wollen und welches Verhalten wir uns von unserem Umfeld wünschen.
Was können persönliche Werte sein? Schauen wir auf ein paar Beispiele:
Autonomie, Anerkennung, Liebe, Sicherheit, Macht, Ordnung, Toleranz, Disziplin, Ehrlichkeit, Erfolg, Nächstenliebe, Freiheit, Freude, sinnliche Befriedigung, Gesundheit, Gerechtigkeit, Mut, Selbstbestimmung, Freundschaft, Familie, Weiterentwicklung, Respekt, Treue, innerer Frieden und Harmonie, Spaß, Toleranz, Tradition, Transparenz & Offenheit, Treue, Unabhängigkeit, Verantwortung, Verbundenheit, Verlässlichkeit, Vertrauen, Weisheit, Wertschätzung, Wissen, Wohlstand, Zivilcourage, Zufriedenheit, Zugehörigkeit, Zuverlässigkeit.
Werte helfen uns, Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen. Unsere persönlichen Werte sind individuell – auch wenn wir mit vielen anderen Menschen gleiche oder recht ähnliche Werte haben. Kein Wert ist dabei besser oder schlechter als der andere. Manche harmonieren gut miteinander, fördern sich gegenseitig und andere sind nicht kompatibel.
Spannenderweise ist es so, dass wir umso erfolgreicher im Leben sind, desto mehr wir unser Handeln an unseren Werten ausrichten. Je mehr wir hingegen von unseren Werten abweichen, sie missachten, desto schlechter fühlen wir uns und desto weniger gelingen uns unsere Aufgaben. An dieser Stelle handeln wir gegen unsere innere Überzeugung, was sich auf Dauer sehr negativ auswirkt und sehr viel Kraft kostet.
Aus meiner Sicht ist es aus vielen Gründen erstrebenswert, sich der eigenen Werte bewusst zu werden und seine Handlungen dahingehend zu überprüfen. Zeitgleich stößt man damit unweigerlich auf die Wurzeln der eigenen Verhaltensmuster, die darauf aufbauen. Denn wie kommen wir zu unseren Werten? Manche Werte werden uns von Kindheit an mitgegeben, anderer Werte erarbeiten wir uns. Sie festigen sich im Laufe unseres Lebens aufgrund unserer Erfahrungen und Vorstellungen vom Leben. So gesehen sind sie dadurch ebenfalls agil, denn wir lernen dazu, verändern unsere Ausrichtung und streben nach neuen Werten, die sich für uns einhergehend mit unserer persönlichen Entwicklung stimmiger anfühlen.
Wir definieren mit unseren Werte grundsätzlich was wir in der Interaktion mit anderen Menschen für wertvoll erachten. So entstehen unsere Überzeugungen und Glaubenssätze, nach denen wir handeln.
Gleichen wir unsere Werte mit denen von anderen Menschen, wie zum Beispiel unseren Kollegen ab, können wir feststellen, wie unsere Werte zusammenpassen und daraus z. B. Regeln für die Teamarbeit kreieren. Das gibt uns Klarheit und die Möglichkeit, ein konstruktives Miteinander noch stärker zu fördern. Denn zusätzlich hilft uns das gegenseitige Wissen der persönlichen Werte, uns gegenseitig besser zu verstehen und eine neue Ebene der Zusammenarbeit zu erreichen.
## DIE SCRUM-WERTE
Jetzt kommen wir zu den Werten, die im Scrum-Framework verankert sind. Darauf folgen wichtige Fragen: passen diese Werte zu mir? Zu meinem Team und Unternehmen? Und bin ich oder mein Unternehmen bereit, an den Werten zu arbeiten?
Wir sprechen von fünf Werten, die elementar wichtig sind für das Gelingen agiler Arbeit. Diese sind:
1. Commitment
2. Fokus
3. Offenheit
4. Mut
5. Respekt
Schauen wir uns die Werte, deren Bedeutung und Zusammenspiel laut Scrum Guide an:
„Das Scrum-Team committet sich, seine Ziele zu erreichen und sich gegenseitig zu unterstützen. Sein primärer Fokus liegt auf der Arbeit des Sprints, um den bestmöglichen Fortschritt in Richtung dieser Ziele zu bewirken. Das Scrum-Team und dessen Stakeholder:innen sind offen in Bezug auf die Arbeit und die Herausforderungen. Die Mitglieder des Scrum-Teams respektieren sich gegenseitig als fähige, unabhängige Personen und werden als solche auch von den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, respektiert. Die Mitglieder des Scrum-Teams haben den Mut, das Richtige zu tun: an schwierigen Problemen zu arbeiten.”
Weiterhin ist dort angemerkt, dass sich das Team im Zuge der Arbeit mit den Werten auseinandersetzen mag und es gilt, diese Werte zu erforschen. Spannend, oder?
Man kann sie aber nicht einfach auf eine Tapete schreiben und glauben, dass das ausreicht. Sie auswendig zu lernen reicht genauso wenig – ist aber ein Anfang. Damit werden die Werte zumindest schonmal präsent. Welche Möglichkeiten gibt es, um die Werte gemeinsam zu erforschen und im Team zu etablieren? Im folgenden eine Idee dazu.
## RAUM DER MÖGLICHKEITEN
Diese fünf Werte haben also sehr viel Potenzial. Ich lade dich ein, sie für dich, oder dein Team und Unternehmen unter die Lupe zu nehmen. Dazu gebe ich dir im folgenden Absatz ein paar Fragen und mögliche Zusammenhänge mit. Vielleicht magst du sie ausprobieren oder für dich adaptieren. Schau einfach, was es für dich gerade braucht, um einen Fortschritt zu erzielen.
Eine übergeordnete Leitfrage kann sein: was bringt unser Team und Unternehmen bezüglich der fünf Werte jetzt weiter, um erfolgreich agil zu sein? Welches Potential möchten wir für uns zusätzlich nutzen?
### POTENTIAL DER WERTE
Offenheit: Was kann Offenheit noch bedeutet? Zum Beispiel sich von vorgefertigten Meinungen zu lösen. Neue Blickwinkel und Perspektiven bewusst zu suchen. Offen für Lösungsvorschläge und Ideen zu sein und sich dann darauf einzulassen. Zu hinterfragen, ob das gut ist, was man gerade tut. Outside the box zu denken. Alte Lösungen zu verabschieden und darauf zu vertrauen, dass auf neue Lösungsvorschläge ein gutes Ergebnis folgen wird. Das Growth Mindset spielt hier übrigens sehr deutlich rein.
Mut. Was kann Mut noch bedeuten? Vielleicht verrückte Ideen im Team zu äußern. Dinge anders zu machen, als man es zuvor gemacht hatte. Genau hinzusehen, wenn etwas schief läuft und es nicht zu ignorieren, sondern sich der Herausforderung zu stellen. Und natürlich auch seine eigenen Grenzen zu sprengen und Vorreiter auf einem Gebiet zu sein – oder zu werden. Nur weil noch niemand deinen Weg gegangen ist, heißt das nicht, dass er nicht gut wäre.
Respekt. Wir waren zuvor bei Mut. Was kann unterstützend wirken, wenn sich ein Teammitglied traut, einen neuen Weg einzuschlagen? Ein stärkendes Team kann neue Ansätze so viel einfacher machen. Zum Beispiel, indem eine neue Idee nicht kleingeredet wird, sondern unterstützend mitgedacht wird. Damit sich die Teammitglieder auch in Zukunft weiterhin trauen, Neues auszuprobieren. Damit einhergehend wächst auch die Team-Sicherheit und das Vertrauen.
Fokus. Was zählt noch dazu? Sich darauf zu konzentrieren, was wichtig ist. Die Ziele konsequent umzusetzen, priorisieren zu lernen und die richtigen Dinge zu tun. Und zu unterscheiden, was nicht länger getan werden sollte und welchen Gegebenheiten kein Fokus mehr zuteil gegeben werden sollte, weil es das Team nicht weiterbringt.
Commitment. Was kann Commitment noch bedeuten? Grundsätzlich zu sich selbst zu stehen, also zum Beispiel zu den eigenen Ideen, Gedanken und Worten. In nächster Instanz zu den Entscheidungen, dem Team, usw. Das bedeutet zeitgleich, mehr und mehr in die Selbstverantwortung zu kommen. Das wiederum wirkt sich positiv auf das Team aus.
### KLÄRUNG DER UMSETZUNG
Im nächsten Schritt kannst du beleuchten, wie das Potential der Werte bereits gelebt wird oder was nächste Schritte sein können. Ein paar Beispiel-Fragen sind:
Offenheit: Wie kann ich Offenheit leben? Wo gelingt es mir schon gut und wo nicht? Welche Auswirkung hat das auf mich und andere? Wie wird Offenheit im Team gelebt? Was kann ein nächster Schritt sein, Offenheit zu fördern? Welchen Rahmen bietet das Unternehmen dafür? Was bedeutet Offenheit insgesamt für das Unternehmen?
Mut: Wie kann ich mutig sein? Was brauche ich dazu? Wo fällt es mir eher leicht, mutig zu sein? In welchem Umfeld? Wie unterstützen wir uns im Team darin? Wie werden im Unternehmen neuen Ideen gesehen und behandelt? Welchen Raum bietet das Unternehmen dazu? Werden neue Ideen gefördert und unterstützt? Wie lebt das Unternehmen, respektive die Unternehmensführung, den Wert „Mut“ vor?
Respekt: Wie sieht Respekt für mich aus? Was bedeutet Respekt im Umgang mit anderen? Was ist mir wichtig – und kann ich andere so behandeln, wie ich gerne behandelt werden möchte? Wo lebe ich das bereits – und wo könnte es noch mehr werden? Wie wird Respekt in unserem Unternehmen gelebt? Was kommuniziert das Unternehmen diesbezüglich? Wie fördert das Unternehmen einen respektvollen Umgang? Welche Konsequenzen ist das Unternehmen bereit zu ziehen, wenn Respekt nicht gelebt wird?
Fokus: Kenne ich meine sowie Team- und Unternehmensziele? Worauf fokussiere ich mich? Wie kann ich mich gut fokussieren? Was lenkt mich ab? Warum lasse ich das zu? Was bräuchte es im Team, um fokussiert arbeiten zu können? Ist es das Richtige, was ich umsetze – bringt es mich und das Team oder Produkt weiter? Unterstützt das Unternehmen darin, ggf. Aufgaben oder Projekte nicht durchzuführen, um den Fokus und die Kraft an den relevanten Stellen zu bündeln? Wie stark sind die Unternehmens-Vision und Mission? Sind sie klar und eindeutig?
Commitment: Inwiefern bin ich bereit, Verantwortung zu übernehmen? Wo ist meine Grenze? Ist es okay, diese Grenze zu haben? Übernehme ich die volle Verantwortung für mich selbst, mein Handeln, meine Ideen? Was kann ich beitragen, um eine positive Veränderung zu bewirken? Wie wird Verantwortung im Unternehmen grundsätzlich gelebt und auch vorgelebt?
Natürlich bergen die Werte noch viel mehr Möglichkeiten. Ich hoffe, dass dir die Fragen ein paar hilfreiche Impulse geben konnten, wie du die Scrum-Werte für dein Team stimmig beleuchten, ausprobieren und integrieren kannst.
Aus meinem Erleben kann ich sagen, dass es immer wichtig war, neben der teamindividuellen Klärung der Scrum-Werte zusätzlich die persönlichen Werte der Teammitglieder gemeinsam transparent zu machen. Wichtig dabei ist, dass es natürlich eine Momentaufnahme ist, die jedoch großes Potential beinhaltet und ein nächster wichtiger Schritt zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Kommunikation im Team sein kann. Voraussetzung dazu ist wiederum ein sicheres Umfeld, in dem die Teammitglieder gerne bereits sind, sich dahingehend zu öffnen.
## FAZIT
Sich mit den Scrum-Werten und der Erlebbarkeit dieser im Team und Unternehmen auseinanderzusetzen kann ein wirklicher Game Changer sein. Es ist eine der essentiellen Grundaufgaben, die im Rahmen einer Scrum Einführung berücksichtigt werden sollten. Eben damit das Framework auf einem stabilen Fundament aufgebaut wird. Eine Erarbeitung der Werte ist über verschiedene Wege möglich, sei es über die Integration ein Team-Canvas oder einen spezifischen „Werte-Workshop“ und falls die Erarbeitung nachgelagert stattfindet z. B. auch im Rahmen von Themen-Retros, usw.
Bei Mayflower haben wir mit dem Team Canvas sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn du darüber mehr wissen magst, oder Interesse an einer Workshop-Begleitung hast – melde dich gerne bei mir und wir unterhalten uns dazu im Rahmen eines kurzen Kaffeegesprächs.
Kommentiere den Beitrag auch super gerne, wenn du Fragen oder Anmerkungen hast. Vielleicht hast du auch ganz andere Erfahrungen und Ansätze? Ich freue mich auf eine Unterhaltung dazu.
Viele liebe Grüße, Dani